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Yoga & Trauma, wie kann eine traumasensible Yoga Praxis Menschen heilsam unterstützen?

  • Frederike von Hacht
  • vor 1 Tag
  • 10 Min. Lesezeit

von Frederike von Hacht, Teilnehmerin YOGA 300/ 2025


Traumasensible Yoga Praxis

Traumasensibles Yoga


Wir sprechen heute so oft über „Trauma“ wie nie zuvor. In Podcasts, auf Social Media und

in Büchern begegnet uns der Begriff immer häufiger. Und doch bleibt oft unklar, was

eigentlich gemeint ist. Denn nicht jede schwierige Situation oder belastende Erfahrung ist ein Trauma.

Ein Trauma geht tiefer als ein alltägliches Ereignis. Es erschüttert das Gefühl von Sicherheit und hinterlässt Spuren, sowohl im Körper als auch in der Psyche.


Gerade hier kann Yoga ins Spiel kommen. Denn während klassische Therapien oft über

kognitive Zugänge und Sprache arbeiten, setzt Yoga beim Körper an. Doch was bedeutet

das genau? Was unterscheidet Trauma von alltäglichen Belastungen und wie kann eine

traumasensible Yogapraxis heilsam unterstützen?


Was bedeutet Trauma eigentlich?

Das Wort „Trauma“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich „Wunde“.

Ursprünglich bezeichnete es eine körperliche Verletzung. In der heutigen Psychotraumatologie wird der Begriff jedoch vor allem im Sinne einer seelischen Verletzung verstanden: eine Erfahrung, die das Sicherheitsgefühl und die Bewältigungsmöglichkeiten eines Menschen so massiv überfordert, dass es zu einer dauerhaften psychischen und/oder körperlichen Erschütterung kommt.


Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Trauma und Traumatisierung. Während „Trauma“ das belastende Ereignis beschreibt, meint „Traumatisierung“ die individuelle Reaktion eines Menschen darauf. Nicht jedes potenziell traumatische Ereignis führt zwangsläufig zu

einer Traumatisierung. Entscheidend ist, ob die Situation als überwältigend, unausweichlich und hilflos machend erlebt wird und ob die natürliche Stressverarbeitung unterbrochen wird.


Kann das Erlebte weder psychisch noch körperlich integriert werden, entsteht eine Art

„Erstarrung“ im Nervensystem: Das Trauma bleibt als körperlich-emotional gespeicherte

Überlebensreaktion „stecken“. In der Fachliteratur werden verschiedene Formen potenziell traumatischer Erfahrungen unterschieden:

• Schocktrauma (Monotrauma): ein einzelnes, plötzliches, überwältigendes Ereignis (z. B.

Unfall, Naturkatastrophe).

• Komplextrauma: wiederholte oder anhaltende traumatische Erfahrungen über längere

Zeit (z. B. Gewalt, Missbrauch, Krieg).

• Entwicklungstrauma: Form des Komplextraumas, das in sensiblen

Entwicklungsphasen der Kindheit entsteht und die gesunde Reifung beeinträchtigt.

• Bindungstrauma: Form des Komplextraumas durch unsichere, instabile oder

missbräuchliche frühe Bindungsbeziehungen; prägt spätere Beziehungserfahrungen

und Selbstbild.


Ob daraus eine Traumatisierung entsteht, hängt von den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten ab. Aus Traumatisierungen können psychische Störungen wie

die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) oder komplexe PTBS hervorgehen.

Darüber hinaus zeigen sich Traumafolgen sehr unterschiedlich und betreffen oft Körper,

Psyche und zwischenmenschliche Beziehungen zugleich. Betroffene können

beispielsweise unter starker innerer Unruhe, Ängsten, Schlafstörungen oder

Stimmungsschwankungen leiden. Manche ziehen sich zurück oder fühlen sich innerlich

wie abgeschnitten, andere erleben intensive Flashbacks oder überwältigende Gefühlsausbrüche. Häufig treten auch körperliche Beschwerden auf, etwa chronische

Schmerzen, Magen-Darm-Probleme oder anhaltende Erschöpfung. Typisch ist, dass

traumatisierte Menschen Schwierigkeiten haben können, sich sicher zu fühlen, sowohl im

eigenen Körper als auch in Beziehungen. Sie sind schneller überlastet, reagieren empfindlich auf bestimmte Auslöser und verlieren leichter das Gefühl, in ihrer Mitte zu sein.

Solche traumabedingten Stresssymptome haben eine klare physiologische Grundlage.

Das Verständnis dieser Prozesse und der beteiligten Strukturen ist entscheidend, um zu

begreifen, wie traumasensibles Yoga einen Menschen unterstützen kann.


Der Körper im Alarmzustand

Wird eine bedrohlich wirkende Situation wahrgenommen, aktiviert sich automatisch unser

Überlebenssystem. Dabei spielen zwei Regulationssysteme eine zentrale Rolle:

• das autonome Nervensystem (ANS)

• das endokrine System


Das ANS, auch vegetatives Nervensystem genannt, steuert lebenswichtige Funktionen wie

Atmung, Herzschlag oder Verdauung und arbeitet unabhängig von bewusster Kontrolle. Es

besteht aus zwei Hauptzweigen, die im Zusammenspiel den Wechsel zwischen

Aktivierung und Entspannung steuern:

• das sympathische Nervensystem, das den Körper in Gefahrensituationen blitzschnell

mobilisiert („Kampf oder Flucht“)

• das parasympathische Nervensystem, das Entspannung, Heilung und Regeneration

ermöglicht


In einer Bedrohungssituation signalisiert der Sympathikus dem Körper, Stresshormone wie

Adrenalin und Noradrenalin auszuschütten. Dadurch steigen Herz- und Atemfrequenz und

die Muskeln werden angespannt. Parallel dazu wird die Hypothalamus-Hypophysen-

Nebennieren-Achse (HHN-Achse, auch„Stressachse“ genannt) aktiviert, die unter

anderem die Ausschüttung von Cortisol, unserem wichtigsten Stresshormon, bewirkt.

Nach Abklingen der Bedrohung übernimmt normalerweise der Parasympathikus. Er leitet

die Entspannung ein und ermöglicht es dem Körper, nach der hohen Anspannung wieder

in einen Zustand der Regeneration zurückzukehren.

Ein zentraler Bestandteil des parasympathischen Systems ist der Vagusnerv, der in der

sogenannten Polyvagal-Theorie (nach Stephen Porges) in zwei Äste unterschieden wird:

• ventraler Vagus: vermittelt soziale Verbundenheit, Sicherheit und Co-Regulation. Er ist

aktiv, wenn wir uns sicher fühlen, z. B. in vertrauensvoller Nähe zu einem Freund oder

einer Freundin. Unter subtilen Stressbedingungen, beispielsweise ein ablehnender

Gesichtsausdruck oder ein angespannter Tonfall, kann er auch Anpassungsreaktionen

auslösen, die als „Fawning“ (äußerlich freundliche Offenheit bei gleichzeitig innerem

Rückzug) beschrieben werden.

• dorsaler Vagus: wird aktiv, wenn weder Kampf noch Flucht möglich sind. Er bewirkt

einen Shutdown-Zustand: Kreislauf und Atmung verlangsamen sich, Betroffene erstarren

oder dissoziieren.


Diese körperlichen Reaktionen hängen eng mit unserem Gehirn zusammen. Ein

vereinfachtes Erklärmodell hierfür ist das „Dreieinige Gehirn“ nach Paul D. MacLean.

Es unterscheidet drei funktionelle Ebenen des Gehirns:

• Stammhirn (Reptiliengehirn): steuert grundlegende Überlebensfunktionen wie Atmung,

Herzschlag und Reflexe sowie unwillkürliche Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsreaktionen.

• Limbisches System: verarbeitet Emotionen, Bindung und episodisches Gedächtnis. Hier

liegen u. a. die Amygdala (Angst- und Gefahrenverarbeitung) und der Hippocampus

(zeitliche Einordnung von Erlebnissen).

• Neokortex: jüngster Teil des Gehirns; zuständig für höhere kognitive Funktionen wie

Sprache, Denken, Selbstreflexion, Impulskontrolle und Planung.


In einer traumatischen Situation übernimmt unser Stammhirn, das einzig auf Überleben

ausgerichtet ist. Gleichzeitig fährt der Neokortex herunter, denn würden wir erst anfangen,

die beste Fluchtroute abzuwägen, hätte uns in früheren Zeiten der Säbelzahntiger längst

erwischt. Die Amygdala reagiert überaktiv, während der Hippocampus seine Fähigkeit verliert, Erlebnisse zeitlich einzuordnen. Auch die sprachliche Verarbeitung wird blockiert.Traumatische Erfahrungen werden daher häufig als sprachlos, überwältigend und „zeitlos“ erlebt. Sie sind körperlich gespeichert, aber nicht integriert.


Wenn wir eine Situation erleben, in der unser autonomes Stresssystem aktiviert wird, wir

den daraus resultierenden Handlungsimpulsen jedoch nicht folgen können, um uns in

Sicherheit zu bringen, bleibt diese Reaktion im Körper gewissermaßen „stecken“. Unser

Organismus hat dann zwar Alarm ausgelöst und Energie für Kampf oder Flucht

bereitgestellt, da wir diese aber nicht nutzen konnten, wird sie nicht vollständig abgebaut.

Im Alltag geschieht das auch im Kleinen, wenn uns zum Beispiel ein volles E-Mail-

Postfach stresst. Das Nervensystem reagiert, als wären wir in Gefahr und aktiviert die

beschriebene Überlebensreaktion. Doch wir können nicht einfach vor den E-Mailsdavonlaufen. Stattdessen bleiben wir sitzen, während Stresshormone wie Adrenalin und

Cortisol im Körper zirkulieren und nur unzureichend abgebaut werden.


In einer traumatischen Situation ist dieser Mechanismus um ein Vielfaches intensiver. Das

Nervensystem schaltet vollständig in den Überlebensmodus, doch Kampf oder Flucht sind

meist nicht möglich. Der Körper verharrt in einem Zustand ständiger Alarmbereitschaft

oder innerer Starre, weil die eingeleitete Überlebensreaktion nicht ausgeführt werden konnte.

Daraus können viele der typischen Symptome einer Traumatisierung entstehen. Hierzu

zählen zum Beispiel eine anhaltende innere Alarmbereitschaft, Flashbacks, Schlafstörungen oder das Gefühl, vom eigenen Körper abgeschnitten zu sein.

Diese Reaktionen lassen sich gut mit dem Modell des Toleranzfensters von Daniel Siegel

beschreiben. Es veranschaulicht den Bereich innerer Erregung, innerhalb dessen ein

Mensch Informationen aufnehmen und sich selbst regulieren kann. „Kippt“ das Nervensystem aus diesem Bereich heraus, entstehen zwei typische Zustände:

• Übererregung (Hyperarousal): meist sympathikoton vermittelt; gekennzeichnet durch

z.B. Panik, Unruhe, Reizbarkeit oder Konzentrationsprobleme.

• Untererregung (Hypoarousal): häufig über den dorsalen Vagus vermittelt;

gekennzeichnet durch z.B. innere Leere, Rückzug, „sich abgeschnitten fühlen“.


Yoga und das Gehirn

Die Forschung zu den Wirkungen von Yoga auf unser Gehirn steckt noch vergleichsweise

in den Anfängen. Dennoch gibt es bereits einige vielversprechende Studien, die Veränderungen in genau den Gehirnregionen nachweisen, die für Stressverarbeitung und Emotionsregulation besonders wichtig sind. So konnte etwa gezeigt werden, dass Yoga die Aktivität der Amygdala, unserem „Alarmzentrum“ für Gefahr reduziert und gleichzeitig den Cortisolspiegel senkt (Desai et al., 2015; Gotink et al., 2018).

Bei Frauen mit komplexer Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) fanden Forscher

zudem Hinweise darauf, dass Yoga die Aktivität in Hirnarealen steigert, die mit Selbstwahrnehmung und Eigenregulation verbunden sind, wie der Insula und dem präfrontalen Cortex (van der Kolk et al., 2014).


Wie traumsensibles Yoga unterstützen kann

Wie wir gesehen haben, wirkt eine Traumatisierung nicht nur im Geist, sondern vor allem

im Körper und entzieht sich oft der rein kognitiven, sprachlichen Verarbeitung. Bessel van

der Kolk beschreibt Trauma daher treffend als „körperlich“. Genau hier setzt ein

körperorientierter Zugang wie Yoga an. Er kann eine wertvolle Ergänzung und

Unterstützung auf dem Heilungsweg sein.

Traumasensibles Yoga kann dazu beitragen, das beschriebene Toleranzfenster eines

Menschen sanft zu erweitern, also den Bereich, in dem Emotionen und Körperempfindungen regulierbar bleiben. Es kann stabilisierende Erfahrungen ermöglichen und über das achtsame Spüren von Körper, Atem und inneren Zuständen die Selbstwahrnehmung behutsam stärken. Auf diese Weise kann der Weg geebnet werden, den eigenen Körper wieder als sicheren Ort zu erleben (Emerson & Hopper, 2011).

Yoga kann sowohl die Selbstwahrnehmung fördern als auch Ressourcen für die

Selbstregulation stärken. Auf diese Weise unterstützt es den Aufbau eines stabilen inneren

Fundaments, das oft notwendig ist, damit sich Menschen den therapeutischen Prozessen

in zumutbarer Weise zuwenden können (van der Kolk et al., 2014). Yoga ersetzt keine

psychotherapeutische oder medizinische Behandlung. Es kann den Prozess jedoch

wirksam begleiten und sinnvoll ergänzen, indem es Stabilisierung fördert, Ressourcen

stärkt und wichtige Voraussetzungen für Therapie schafft.


Ursprung und Prinzipien

Die erste klar definierte Form traumasensiblen Yogas wurde am Trauma Center in

Brookline, Massachusetts (USA) von David Emerson in Zusammenarbeit mit Bessel van

der Kolk entwickelt. Das daraus entstandene „Trauma Center Trauma Sensitive Yoga“

(TCTSY) ist eine standardisierte, forschungsbasierte und markenrechtlich geschützte

Methode. Sie darf nur von speziell ausgebildeten, zertifizierten Facilitators angeboten

werden. Im Mittelpunkt steht die Wiederherstellung von Selbstwahrnehmung, Autonomie

und Körperkontakt bei Menschen mit komplexen Traumatisierungen.


Der allgemeinere Begriff „traumasensibles Yoga“ (TSY) ist dagegen im deutschsprachigen

Raum nicht geschützt oder standardisiert. Er bezeichnet jede Form von Yogapraxis, die

sich an den besonderen Bedürfnissen traumatisierter Menschen orientiert. In den letzten

20 Jahren hat sich TSY aus verschiedenen Kontexten entwickelt, insbesondere in

Verbindung mit moderner Traumatherapie, Achtsamkeitspraxis und körperorientierter

Psychotherapie. Bedeutende Impulse kamen im deutschsprachigen Raum von Angela

Dunemann, Marina Weiser, Nadja Pfahl, Nicole Härle und Eva Weinmann. Sie beziehen

sich teilweise auf US-amerikanische Modelle, gestalten TSY jedoch methodisch freier,

integrativer und stärker sozialpädagogisch bzw. therapeutisch begleitend.


Im TCTSY wurden vier Kernpunkte herausgearbeitet, die beschreiben, wie Yoga

traumatisierte Menschen wirksam unterstützen kann. Auch wenn TCTSY ein

standardisiertes Verfahren ist, können diese Kernideen heute als allgemeine Leitlinien für

eine traumasensible Yogapraxis angesehen werden und eine gute Orientierung bieten.


1. Das Erleben des gegenwärtigen Augenblicks

Bessel van der Kolk beschreibt Trauma als „die Krankheit, nicht präsent sein zu

können“. Viele Betroffene sind ständig auf mögliche Gefahren fokussiert und können

das Hier und Jetzt kaum wahrnehmen. TSY unterstützt, diese Orientierung allmählich

zu verlagern: weg vom Trauma, hin zum Jetzt. Die Erfahrung, körperlich im Moment zu

sein, schafft Sicherheit und Erdung.

2. Entscheidungsmöglichkeiten und Selbstwirksamkeit

Traumatische Erfahrungen gehen oft mit Kontrollverlust einher. Wahlmöglichkeiten in

der Yogapraxis sind daher bedeutsam: Sie symbolisieren Selbstbestimmung und

stärken das Vertrauen in die eigenen Grenzen. Schritt für Schritt können die

Teilnehmenden wieder lernen, Körpersignale wahrzunehmen und ihr Erleben aktiv zu

gestalten.

3. Effektives Handeln ermöglichen

In traumatischen Situationen war Handeln oft nicht möglich, obwohl der Körper dazu

bereit war. Diese unterbrochenen Reaktionen bleiben gespeichert. TSY bietet die

Chance, in einem sicheren Rahmen kleine Handlungen bewusst zu erleben, etwa eine

Haltung zu verändern oder um Unterstützung zu bitten. So wird erfahrbar, dass eigene

Bewegung, Entscheidung und Veränderung möglich und sicher sind.

4. Rhythmen, Synchronie und Zeitwahrnehmung

Komplexe Traumata können dazu führen, dass Menschen sich „aus dem Takt“ fühlen,

mit sich selbst, mit anderen und mit der Zeit. TSY setzt auf Atem, Bewegung und klare

Abläufe, um Rhythmus und Orientierung zurückzugewinnen. Rhythmus vermittelt

Struktur, Vorhersagbarkeit und Zugehörigkeit.


Diese Kernpunkte beschreiben die grundlegenden Wirkprinzipien traumasensibler

Yogapraxis. Damit sie in der Praxis wirksam werden, braucht es jedoch bestimmte Modifikationen, die sich von klassischen Yogastunden unterscheiden können. Daraus

ergeben sich Prinzipien, auf die Yogalehrende achten können.

  1. Ein wesentliches Prinzip ist die Einladung statt Anleitung. Die Sprache ist dabei

durchgängig nicht-direktiv. Lehrende nutzen Formulierungen wie „wenn du möchtest“, „du

könntest ausprobieren“ oder „schau, ob du spüren kannst...“. Das unterstützt ein Gefühl

von Selbstbestimmung, das für Menschen mit Traumatisierung besonders wichtig ist.

  1. Eng damit verbunden ist die Wahlfreiheit und Kontrolle. Teilnehmende entscheiden

selbst, ob und wie sie sich bewegen. Die Möglichkeit, jederzeit zu pausieren, eine Asana

anzupassen oder nicht auszuführen, kann einen Rückgewinn von Kontrolle darstellen.

Auch kleine, konkrete Handlungen wie das eigenständige Holen einer Decke oder das

Bitten um Unterstützung können das Gefühl von Wirksamkeit fördern. Diese scheinbar

einfachen Entscheidungen können nachhaltig die Fähigkeit zu effektivem Handeln stärken.

  1. Ein weiteres Prinzip ist die Körperwahrnehmung statt Formorientierung. Die

Aufmerksamkeit wird auf interozeptive Empfindungen gelenkt, beispielsweise auf

Muskelspannung oder Atembewegung. Dadurch wird die Verbindung zum Körper gestärkt

und die Fähigkeit gefördert, innere Zustände zu registrieren, zu tolerieren und selbst zu

modulieren. Das achtsame Spüren des Körpers kann außerdem die Verankerung im Hier

und Jetzt unterstützen.

  1. Darüber hinaus wird in der Regel auf Körperkontakt verzichtet.

Das TCTSY verzichtet vollständig auf körperliche Hilfestellung durch die Lehrperson.

Stattdessen liegt der Fokus auf Selbstbeobachtung und Selbstwirksamkeit. Das schafft

Sicherheit, reduziert Triggerpotenzial und schützt individuelle Grenzen.

  1. Ein weiteres Prinzip betrifft ein kontextsensibles Setting. Die Struktur der Stunden ist klar

und vorhersehbar. Rituale, Raumgestaltung und die Haltung der Lehrperson orientieren

sich an den Grundprinzipien von Sicherheit, Orientierung und Transparenz.

Dazu gehört zum Beispiel, dass die Lichtverhältnisse konstant bleiben und der Raum

während Savasana nicht abgedunkelt wird, wenn das Licht vorher eingeschaltet war.

  1. Hinzu kommt das Vermeiden von Extremen. Trauma geht oft mit Schwankungen

zwischen Übererregung und Erschöpfung einher. Traumasensibles Yoga arbeitet daher mit

ruhigen Sequenzen und vielen Pausen, während auf intensive Vinyasa-Flows oder lang

gehaltene Yin-Haltungen in der Regel verzichtet wird.

  1. Auch Savasana wird angepasst. Entspannung setzt Sicherheit voraus. Daher kann

Savasana auch im Sitzen stattfinden, unterstütz durch eine Wand. Orientierung im Raum,

visuelles Benennen der Umgebung oder Eigenberührungen können das Sicherheitsgefühl

zusätzlich fördern.

  1. Das nächste Prinzip betrifft das Pranayama. Atem kann beruhigen, aber auch triggern.

Deshalb sollten keine regulierenden Atembefehle gegeben werden. Statt „tief einatmen“ ist

es hilfreicher zu sagen: „Vielleicht magst du deinen Atem beobachten, wenn das gerade

passt.“ Zusätzlich können visuelle Anker oder synchronisierte Handbewegungen

eingesetzt werden.

  1. Bei den Asanas sind vor allem solche empfehlenswert, die Orientierung, Stabilität und

Selbstwirksamkeit unterstützen. Dazu gehören Standhaltungen wie Tadasana oder die

Helden, die Erdung und Kraft fördern, Balancehaltungen, die Konzentration und Präsenz

unterstützen, oder Varianten mit Stuhl und Wand, die Stabilität und Schutz ermöglichen.

Weniger geeignet sind hingegen Haltungen, die Schutzlosigkeit hervorrufen können, wie

„Happy Baby“, oder Sequenzen, in denen wenig Orientierung im Raum gegeben ist, beispielsweise längere Übungen im Liegen.


Fazit

Traumasensibles Yoga schafft sichere Erfahrungsräume, in denen Menschen lernen

können, ihren Körper wieder zu bewohnen, sich zu regulieren und in Verbindung zu treten.

Es ist weniger eine eigene Form des Yogas und mehr eine Haltung, die durch Sprache,

Struktur, Achtsamkeit und ein respektvolles Beziehungsangebot vermittelt wird.

Entscheidend für Yogalehrende ist ein informierter, achtsamer und sensibler Umgang.

In der traumasensiblen Arbeit wird oft betont, dass ein sensibel gestalteter Yogaunterricht

nicht nur für Menschen mit Traumatisierung hilfreich sein kann, sondern grundsätzlich für

alle Menschen, die in den Yogaunterricht kommen. Denn wir alle bringen Verletzungen und

schwierige Erfahrungen mit, auch wenn diese nicht traumatisch sind. Gleichzeitig ist es

wichtig, klar zwischen alltäglichen Belastungen und echten Traumata zu unterscheiden.

Nur so können Räume entstehen, in denen Menschen mit Traumaerfahrungen die

Sicherheit finden, die sie für ihre Yogapraxis und ihren Heilungsweg brauchen.

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